curated by_Thomas D. Trummer: Lara Favaretto, Ryan Gander, Alina Szapocznikow

20.09.–25.10.2012

Ryan Gander
Come on! Think!, 2011
44 Fotografien auf Plexiglas montiert, Holzregale
330 x 168 x 10 cm

Alina Szapocznikow
Ohne Titel, ca. 1960
Monotypie und Tinte auf Papier
21 x 20,7 cm

Alina Szapocznikow
Ohne Titel, 1960
Monotypie und Tinte auf Papier
21 x 20,7 cm

Alina Szapocznikow
Don Quixote, 1959
Bronze
23 x 12 x 7 cm

Alina Szapocznikow
Ventre-coussin, 1968
Polyurethanschaum
30 x 31 x 16,5 cm

Lara Favaretto
Screwing, 2011
Beton, Eisen
110 x 70 x 70 cm

Ausstellungsansicht, Galerie Martin Janda, 2012

Ausstellungsansicht, Galerie Martin Janda, 2012

curated by_Thomas D. Trummer: Lara Favaretto, Ryan Gander, Alina Szapocznikow

Eröffnung: Donnerstag, 20. September 2012, 18:00 Uhr
Dauer der Ausstellung: 21. September bis 25. Oktober 2012

Die Gegenwart ist angespannt. Notmaßnamen werden allerorts getroffen. Doch helfen fiskalische Steuerungen und globale politische Maßnahmen gegen eine tiefer empfundene Verwundbarkeit des Lebens, die Sterblichkeit inbegriffen? Wie steht es um die existenzielle Verfasstheit? In gegenwärtiger „conditio humana“ scheinen Zurechtrückung und Perfektionierungsdrang nicht weniger zu dominieren. In vielen Wissenszweigen und Alltagsfibeln geht es darum, den Menschen über Selbsttransformation mit einem wirksamen Immunstatus auszustatten. Aus Ratgebern erfahren wir, wie wir uns vor unwillkommenen Zudringlichkeiten und selbstverschuldeten Eigengefährdungen bewahren. Die empfohlenen Maßnahmen reichen von physischen Übungsverfahren, sozialen Techniken und medizinisch-physischen Optimierungen bis zu spirituellen Vorkehrungen, – alle dazu erdacht, den Menschen vor sich selbst in Schutz zu nehmen. Der österreichisch-amerikanische Biotechnologe Erwin Chagáff gehörte jener Gruppe von Wissenschaftlern an, die seit den 50er Jahren durch die Dechiffrierung der Erbausstattung des Menschen die Ermöglichungsbedingungen seiner künstlichen Gestaltung vorantrieben. Dennoch äußerte Chagáff selbst tiefe Zweifel an dieser Vorgangsweise. Denn die Ermächtigung des Menschen zeitigt kulturelle und ethische Konsequenzen. Menschen werden zu Designern von anderen Menschen. Eine asymmetrische Beziehung ist die Folge, in der sich ein Exemplar seiner Spezies unter Anwendung technischer Mittel aus dem kulturellen Lernprozess und seiner Wechselwirkung heraustrennt und ihn eigensinnig verfolgt. Es entsteht ein Autor, der sich weder Gott noch Künstler nennt und dennoch eine künstliche Kreation für sich beansprucht.

Alina Szapocznikow (1926-1973), Lara Favaretto (*1973) und Ryan Gander (* 1976) provozieren eine Kunst der unbequemen Unmittelbarkeit. Mentale Rüstungen und Immunsysteme scheinen in ihren Werken heilsam wirkungslos. Es geht um die direkte körperliche Erfahrung und eine greifbare Begegnung. Imaginäre Vorwegnahmen und empfindliche Rücksichten ersetzen die Leistungsanforderungen an den Körper. Empfindliches Befinden, Weltbegegnung und Daseinsschlüssel kommen wieder zum Vorschein.

Alina Szapocznikow wird 1926 geboren. Sie überlebt drei Konzentrationslager, Auschwitz, Bergen-Belsen, Theresienstadt. Ihre Mutter war Ärztin gewesen, sie assistierte. Die grauenvollen Erfahrungen tauchen in ihrem Werk allerdings erst gegen Ende auf. Nach dem Krieg studiert sie in Prag und Paris. Ab 1951 wieder in Polen arbeitet sie vorerst nach klassischer Prägung. Anfangs ist nur Bronze das Material und das Figurenideal wie bei vielen Zeitgenossen humanistisch. Doch sehr bald wird sie die Deformation und den Exkurs ins sinister Surreale wagen. In kleinen Skulpturen verzerrt sie Körper zu Klumpen, überdehnt, staucht und verdichtet sie. Kaum anderswo zeigt sich das Menschenbild der Nachkriegszeit in seiner Existenzschwere und Suche nach verwunschener, vielleicht sogar lebloser Archaik.

Lara Favaretto wurde in Turin geboren. Ihre Werke benützen eine schlichte formale Sprache. Grober Beton, Eisen und Kunststoff sind Materialien, die zum Großteil in Wiederverwertung zum Einsatz kommen. In die Räume der Galerie Franco Noero lässt sie Gerüstträger in vertikaler und waagrechter Anordnung einspannen. Tragen, Aushalten, Verspannen aber auch Abnutzung und Erneuerung werden darin zum Thema. Zugleich entsteht durch die zweckentfremdete Konstruktion ein schlankes geometrisches Raumbild. Ähnliche Trägerrohre baute sie in ihre jüngste Einzelausstellung im PS 1 des New Yorker MOMA ein. Zuweilen nehmen ihre Werkstücke spielerische Formen an, wie die bunten Monumentalbürsten, die aus Autowaschstraßen für ihre Installation in den Arsenale der Biennale solange auf Metallplatten reiben, bis sich selbst verstümmeln. Kern ihrer Thematik ist jedoch der menschliche Körper, den sie in Fragen des Zerfalls, Verlust und der menschlichen wie der maschinellen Verausgabung anspricht.

Ryan Gander, Vertreter einer jüngeren Generation britischer Kunst, bringt Verborgenes und Unbekanntes zum Vorschein. Vielfach in dunkler Anmutung entwirft er Installationen, Bildwerke und irritierende Interventionen. Gander legt bewusst Spuren aus, um ein offenes Beziehungsgeflecht aus Wissen und Ahnen entstehen zu lassen. Für die dOCUMENTA 13 entwarf er einen Windhauch, der durch Schlitze eines versteckten Ventilators in die Räume geblasen wurde. Die BesucherInnen verspüren den heftigen und unangenehmen Luftzug und nehmen ihn dennoch kaum wahr. Ganders spärlicher Einsatz der Mittel ist als Anregung für mögliche Projektionsflächen und Einschreibungen gedacht, in der fremdartige Wissens- und Vorstellungswelten zum Vorschein kommen. Zugleich sprechen seine Eingriffe stets Erfahrungen der Leiblichkeit an, Fragen, die Gander nur am Rande, jedoch latent unverkennbar in seine Werke einwebt.