H. Amanshauser: Du warst einige Jahre mehr oder weniger die einzige Darstellerin in deinen Videoarbeiten. In welchem Verhältnis stehen sie zu deinen Performances?
E.-L. Semper: Es besteht kein direkter oder systematischer Zusammenhang zwischen ihnen. Ich habe mehrere Performances gemacht, aber ich habe sie außerhalb dessen gemacht, was man die »Hauptentwicklungslinie« meiner Videoarbeiten nennen könnte, und ich habe die Performances mit weniger Beständigkeit als die Videos gemacht. In meinen Videos bin ich selbst aufgetreten, weil es wahrscheinlich keinem anderen zumutbar gewesen wäre, meine extremen Anforderungen zu erfüllen. Außerdem hat es mir eigentlich nie behagt, brutal mit anderen umzugehen.
H. Amanshauser: Diese Arbeiten haben eine Menge mit Grenzerfahrungen wie Schmerz, Einsamkeit, Verzweiflung, Gefoltertwerden usw. zu tun. Siehst du da eine Korrespondenz zur feministischen Kunst der sechziger und siebziger Jahre, etwa Gina Pane oder Valie Export?
E.-L. Semper: Nein, eigentlich nicht. Ich fühle mich dieser Generation feministischer Kunst nicht besonders verbunden. Ich hatte in den Jahren meiner Entwicklung keinerlei Ahnung von diesen Arbeiten. Außerdem fürchte ich, dass eine bestimmte Art von Gewaltbildern schneller unter einem vereinheitlichenden Gesichtspunkt gesehen wird als andere Bilder. Gewaltbilder verlangen nach raschen Erklärungen und das führt oft zu trügerischen Schlussfolgerungen. Es scheint zwar ein wenig pervers, in Bezug auf »das Gefühl des Gefoltertwerdens« feine Nuancen und Gradunterschiede zu machen, aber ich glaube, wir müssen in diesen Dingen genauer und differenzierter sein. Wenn man genauer zu fragen beginnt, wie und warum ich in dem Kontext arbeite, aus dem ich komme, dann erweist sich diese Korrespondenz als Illusion.
H. Amanshauser: Was wären also die richtigen Fragen um herauszufinden, wie du arbeitest und warum und aus welchem Kontext du kommst?
E.-L. Semper: Es ist nicht leicht zu sagen, wie ich arbeite, und ich möchte eigentlich nicht all die »geheimen« Bedeutungen jeder einzelnen Arbeit auseinandersetzen. Sagen wir, ich versuche, unbewusste Erinnerungen an die allgemeinmenschliche Daseinserfahrung im Hier und Jetzt zu wecken, da meine Ideen eigenen Gedanken und Überzeugungen entspringen und ich fest glaube, dass der Betrachter tief in seinem Innersten dasselbe fühlen könnte.
Hildegund Amanshauser im Gespräch mit Ene-Liis Semper, 2003