Erwin Bohatsch: Capricci
08.03.–06.04.2024
Eröffnung: Donnerstag, 7. März 2024, 19-21 Uhr
Dauer: 8. März bis 6. April 2024
Die Galerie Martin Janda zeigt von 8. März bis 6. April 2024 die erste Einzelausstellung von Erwin Bohatsch.
Kunstwissenschaftler und Theoretikerinnen tendieren dazu, Vergleiche zu ziehen und Einordnungen vorzunehmen. Diese abgerundete Ecke, kommt sie schon bei Oskar Schlemmer vor? Jener merkwürdige Bogen oben links? Ist das eher Dorothea Tanning oder Merlin Carpenter oder gar Amy Sillman?
Der Vergleich, die Mimesis, so formuliert es der Literaturwissenschaftler und Religionsphilosoph René Girard, ist das anthropologische Hauptwerkzeug, das es dem Menschen erlaubt, sich zu entwickeln, weiterzugehen. Ohne den Antrieb des Abgleichs mit anderen Subjekten gäbe es keinen Fortschritt. Diese fundamentale Erkenntnis leitet uns direkt zur Malerei und damit zu den neuen Arbeiten von Erwin Bohatsch. Denn eine innere Verwandtschaft mit all den oben genannten Maler:innen ist bei Bohatschs neuen Werken von vorne herein gegeben und wahrscheinlich darüber hinaus noch mit vielen weiteren: Diese Kringelwolke zum Beispiel, verweist sie nicht auf Philip Guston?
Damit lassen wir es bewenden, denn man sieht sofort: Solche Vergleiche können ad absurdum geführt werden und führen dennoch nirgendwo hin – mit einer Ausnahme vielleicht, aber dazu später, denn diese ist tatsächlich so verblüffend, dass ich sie hier unbedingt notieren muss. Letztlich ist nicht das Detail eines gemalten Bildes entscheidend, sondern das gesamte Werk: die Textur, das Material, die ganze Komposition und nicht zuletzt die individuelle Geschichte einer künstlerischen Handschrift.
Erwin Bohatschs neue Arbeiten sind befangen und wild zugleich. Ein kontrollierter Gestus schwingt sich über die Leinwand und wird hier und dort gebremst. Ständig scheint sich der Fluss der Farblinie selbst zurückzunehmen, um dann irgendwo wieder aus der Geordnetheit auszubrechen, zu verebben oder einfach in einer neuen Farbenwelt zu versickern. Kleine Ungereimtheiten wie ein unmotiviertes Stück Grün, das verschämt am Rand entlang streicht, aber nicht weiter geht. Seltsam gebogene Formen wiederholen sich – fast. Dann legt sich eine ungefähr geometrische Fläche über beide, aber auch nur teilweise. Im Hintergrund haben wir es mit einer Art Architektur zu tun, wobei räumlich ist diese gar nicht, dafür aber flach. Überhaupt der Raum in diesen Bildern: Wo stehen wir? Wo befindet sich das gemalte Objekt? Liegt es? Schwebt es? Fällt es um? Ist es überhaupt ein Objekt? Aber was könnte es sonst sein?
Es sind Fragen wie diese, die uns die Malerei immer wieder neu vor Augen führt, wenn sie gut ist. Es sind die alten Probleme der abstrakten Malerei, sie haben sich kaum geändert. Aber es wäre absurd, diese Tatsache zu hinterfragen, denn jede neue Künstlergeneration muss ihre Beziehung zum visuellen Konstrukt immer wieder in einer eigenen Sprache selbst formulieren. Klassischerweise zählen Bohatschs Arbeiten zur abstrakten Malerei. Aber was heißt das? Zählt der Gestus? Zählt die Linie? Zählt die Farbe? Gegeben ist, dass wir keine Objekte oder Gegenstände als solche erkennen können, keinen Teekrug zum Beispiel, aber auch kein Gesicht, und das hat die Kunstgeschichte non-figurative Malerei genannt. Stattdessen rücken konstruktive und physikalische Eigenschaften eines Bildes in den Fokus, primär die Farbe, der Pinsel, das Format und der Grund. Und genau hier setzt auch Erwin Bohatsch an, wenn er die Textur der Oberfläche als ein zentrales Element seiner Arbeiten nennt. Sein Prozess beginnt mit der Wahl des Materials – und mit dem Produkt, das er wählt, ändert sich auch das Wie seiner Erzählung. Ob er Vinylfarbe, Kohle oder in einem Gemisch auch Öl verwendet, bestimmt die Komposition, den Weg einer Linie, die Porosität, Opakheit oder Dichte einer Farbfläche. Seine Bilder leben von der Austarierung dieser unterschiedlichen Elemente, ihren Schichtungen, Übermalungen und Neukonturierungen.
Neben dem strukturellen und materiellen Gerüst – den Formen und dem Bilden einer architektonischen Raum-Illusion – spielt die Farbe als evokative Kraft in diesen Arbeiten eine eminente Rolle. Die Farbe ist die Malerei, wenn dies auch im Gespräch mit dem Künstler kaum Erwähnung findet. Ich denke aber, dass hinter dieser Zurückhaltung neben einer möglichen Skepsis gegenüber dem emotionalen Gehalt von Malerei auch ein Wissen über die Unmöglichkeit des Sprechens über Farbe steht. Nicht zuletzt aber ist es die Farbe, der diese neuen Werke ihre Gültigkeit und Tiefe verdanken. In den subtilen Nuancierungen eines ganz aus der Mode gekommenen Blau oder eines irrationalen Gelb sowie in ihrer besonderen Gewichtung – oft sind es nur winzige Farbfelder oder -tupfer, die einen Akzent setzen, wie im Fall eines orangen Stückchens, das zwischen einem Blaugrau und einem Beigeweiß aufscheint – liegt eine energetische Aufladung, die die Bildauffassung ganz wesentlich bestimmt.
Bei meinem Besuch in Erwin Bohatschs Atelier gab es den Moment des Innehaltens – und damit komme ich zu meiner angekündigten kleinen Story. Ein Innehalten, verbunden mit der im besprochenen Sinn nicht sonderlich geistreichen Bemerkung, dass diese Arbeiten an den US-amerikanischen Künstler Richard Diebenkorn erinnerten – einen Maler, der für mich als Teenager die Quintessenz der Malerei bedeutete und der in Europa im Vergleich zu anderen Exponenten des Abstrakten Expressionismus immer eher unbekannt war. Und die Überraschung, die natürlich keine mehr ist, war dann, dass sich Erwin Bohatsch genauso als Diebenkorn-Fan outete – eine Koinzidenz, die wir beide für bemerkenswert hielten.
Patricia Grzonka
Erwin Bohatsch, 1951 geboren in Mürzzuschlag (AT), lebt und arbeitet in Wien und Venedig.