Le dernier des 8 solitaires
11.11.–22.12.2022
Eröffnung: Donnerstag, 10. November 2022, 18−21 Uhr
Dauer der Ausstellung: 11. November bis 22. Dezember 2022
Die Galerie Martin Janda zeigt von 11. November bis 22. Dezember 2022 die Gruppenausstellung Le dernier des 8 solitaires mit Arbeiten von Hugo Canoilas, Adriana Czernin, Svenja Deininger, Raoul de Keyser, Milena Dragicevic, Werner Feiersinger, Nilbar Güreş, Jakob Kolding, Július Koller, Asier Mendizabal, Jan Merta, Roman Ondak, Ene-Liis Semper, Roman Signer, Mladen Stilinović und Sharon Ya'ari.
Eine Spur ist ein indexikalisches Zeichen. Sie basiert auf einem Abdruck, das heißt einem Ort im Raum innerhalb einer zeitlichen Struktur. Als sichtbare Manifestation von etwas Vergangenem hat sie den Charakter eines materiellen Belegs, und doch bleibt es beim Verweis auf etwas, das selbst abwesend bleibt. Analoge Fotografie funktioniert so, als Spur und eingefrorener Moment. Die zwei LKW-Ladungen Schnee, die im Laufe eines Tages auf einem Parkplatz in einem Vorort von Tel Aviv geschmolzen sind, haben allein fotografisch überdauert, finden in den beiden Aufnahmen von Sharon Ya'ari aber zu neuer Essenz. Als Roman Signer 1989 vom Bahnhof Appenzell entlang der rund 20 Kilometer langen Strecke bis zum Bahnhof St. Gallen Lunten auslegte, dauerte es hingegen 35 Tage, bis alle abgebrannt waren: 150 Sekunden für einen Meter. Die Dehnung der Zeit durch die langsam abbrennende Schnur bleibt verankert in der subjektiven Erfahrung derer, die dabei waren. Wir lernen sie über zwei Fotos kennen, Markierungen eines Davor und Danach.
Spuren können in diesem Sinne also auch Richtungsvektoren sein, die einen Beginn und ein Ende markieren, die Wege und Verläufe zeigen. Das haben sie mit dem Pfad gemein, der jenseits des offiziellen Weges führt und geprägt ist von der Bewegung im Raum. Július Kollers Dokumentationen seiner performativen Aktionen zeigen solche Pfadfindungen – Versuche der Überwindung räumlicher Distanz, der Suche nach neuen Wegen durch die Landschaft und die Markierung derselben; prosaische Situationen, in denen die physische Präsenz des Künstlers Grenzen metaphorisch überwindet. Mladen Stilinovićs minimale Klebeband-Interventionen in den weißen Raum des Papiers bilden hingegen fragile Richtungsvektoren, Notationen, vielleicht auch Auslassungen oder Interpunktionen von Sprache, die verschwunden ist oder bloß imaginär. Seine Arbeiten aus den 1970ern übersetzen in den Jahren zuvor entstandene Gedichte in eine neue Bildsprache, verwandeln bereits zirkulierende kulturelle Zeichen und fragen nach der künstlerischen Verantwortung und dem Status des Bildes an sich. Darin ähneln sie Raoul de Keysers kontinuierlichem Ausloten der Möglichkeit von Bildern, von Malerei, mit Bezug auf die eigene zurückliegende Bildproduktion. Die zwanzig Jahre, die zwischen seinen Gemälden liegen, verschwinden in der Präsenz einer Linie, die eine einmal gesetzte Spur wieder aufnimmt und vielleicht auch das in die Abstraktion entschwundene Gegenständliche zurückzuholen sucht.
Diese Spuren, Echos und die Pfade, die jenseits der direkten Verbindung von A nach B neues Terrain erschließen, lassen sich weiter verfolgen, ins Konzeptuelle vertiefen und in die Gegenwart überführen. Roman Ondaks Third Way aus zwei Leitern ist ein lakonisches Plädoyer für einen dritten Weg, für neue, auch politische Perspektiven, Denkmuster und Alternativen. Asier Mendizabals Objekte finden in ihrem Insistieren auf einen formalen Ansatz eine prägnante Sprache für Politisches, der auf die Wirkung des Gezeigten vertraut. Svenja Deininger wiederum dient die Bildwerdung selbst zum Nachdenken über Form und Komposition. Über das Auf- und Abtragen zahlreicher Grundierungs- und Farbschichten erscheinen Konturen in unterschiedlicher Präsenz, so als gäbe es eine temporale Struktur innerhalb des statischen Bildraumes. In Adriana Czernins Arbeit mit dem Ornamentalen stoßen strenge Regeln wiederum auf deren bewusste Durchbrechung und Unterwanderung, die die Symmetrie auflösen und das Potenzial der freien Form entfalten.
Und dann sind da in Ene-Liis Sempers Video Come die auffordernden Gesten, hinauszutreten in die Landschaft; Jan Mertas figurative Malerei, die ihren thematischen Fokus in das Jenseits des Bildes schiebt; die auf Architektur bezogenen, minimalistischen Skulpturen von Werner Feiersinger, die Raum neu denken lassen; Nilbar Güreş‘ Auseinandersetzung mit dem Sehen und Gesehen Werden, Verbergen und Enthüllen, die Formen der Repräsentation jenseits dichotomisch strukturierter Weltbilder sucht; Hugo Canoilas‘ installative, in den Raum greifende Form von Malerei, die auf eine Revision der anthropozentrisch geprägten Weltsicht zielt und als malerische Biosphäre stets auch Soziotop ist und Raum für Interaktion. Jakob Koldings Collagen, die das Fragment zum Resonanzraum erheben, prägt der vielschichtige Widerhall der Sprache, wenn von Sätzen nurmehr Wörter bleiben und die leere Seite zu Bühne für jene wird, die an ihren Rändern kleben geblieben sind. Und Milena Dragicevics Bilder, in denen Köpfe bis hin zu Abstraktion verfremdet werden, verstehen sich als Platzhalter für etwas, das in der Zukunft oder Vergangenheit liegt wie ein Richtungspfeil ins Jetzt.
Das alles sind im weitesten Sinne formale Auseinandersetzungen mit dem, was uns umgibt, und wie gesellschaftliche Texturen dort ihre Spuren hinterlassen haben. Es sind Beschäftigungen mit der Beziehung zwischen Abstraktion und der Repräsentation jenes Politischen, das das Soziale prägt. Die Spuren und Interventionen, die die Werke dieser Ausstellung prägen, beschreiben damit auch Formen der Dissidenz, ein stoisches Abweichen von der Norm oder ein subversives Insistieren auf anderen Zeitlichkeiten. Sie finden in der Reduktion, im Weniger, einen Raum für die Artikulation dessen, was erst abseits des zu oft Gesehenen und Gesagten sein Potenzial entfaltet. 1992 gegründet, besteht die Galerie Martin Janda seit dreißig Jahren. Die Arbeiten, die hier versammelt sind, stehen insofern auch für ein Programm, das sich der Spurensuche und dem Ausloten neuer Wege verschrieben hat, in der Vergangenheit wie Gegenwart.
Vanessa Joan Müller
Hugo Canoilas, geboren 1977 in Lissabon (PT), lebt und arbeitet in Wien (AT).
Adriana Czernin, geboren 1969 in Sofia (BGR), lebt und arbeitet in Wien and Rettenegg (AT).
Svenja Deininger, geboren 1974 in Wien (AT), lebt und arbeitet in Wien (AT), Mailand (IT) und Berlin (DE).
Raoul de Keyser, geboren 1930 in Deinze (BE), gestorben 2012 in Deinze (BE).
Milena Dragicevic, geboren 1965 in Knin (YU), lebt und arbeitet in London (UK).
Werner Feiersinger, geboren 1966 in Brixlegg (AT), lebt und arbeitet in Wien (AT).
Nilbar Güreş, geboren 1977 in Istanbul (TR), lebt und arbeitet in Wien (AT) and Istanbul (TR).
Jakob Kolding, geboren 1971 in Albertslund (DK), lebt und arbeitet in Berlin (DE).
Július Koller, geboren 1939 in Piestany (SK), gestorben 2007 in Bratislava (SK).
Asier Mendizabal, geboren 1973 in Ordizia, Guipúzcoa (ES), lebt und arbeitet in Bilbao (ES).
Jan Merta, geboren 1952 in Sumperk (CZ), lebt und arbeitet in Prag und České Lhotice (CZ).
Roman Ondak, geboren 1966 in Zilina (SK), lebt und arbeitet in Bratislava (SK).
Ene-Liis Semper, geboren 1969 in Tallinn (EE), lebt und arbeitet in Tallinn (EE).
Roman Signer, geboren 1938 in Appenzell (CH), lebt und arbeitet in St. Gallen (CH).
Mladen Stilinović, geboren 1947 in Belgrad (RS), gestorben 2016 in Pula (HR).
Sharon Ya'ari, geboren 1966 in Holon (ISR), lebt und arbeitet in Tel Aviv (ISR).