Nilbar Güres: See/Saw
08.11.–20.12.2019
Eröffnung: Donnerstag, 7. November 2019, 19 Uhr
Sehen und gesehen werden, verbergen und enthüllen. In See/Saw, der dritten Einzelausstellung von Nilbar Güreş in der Galerie Martin Janda, deckt sie in neuen Arbeiten duale gesellschaftliche Strukturen auf und legt tradierte Denk- und Verhaltensmuster bloß. Abweichend von einem westlich-modernen, durch Gegensätze – Kultur/Natur, Geist/Körper, Selbst/Anderes – strukturierten Weltbild, verhandelt sie neue mögliche Formen der Repräsentation von weiblicher, queerer und kultureller Identität.
Coconut Cutters (2018), See/Saw (2018) und The Eye (2018) – drei neue Fotografien, die anlässlich Nilbar Güreş‘ Teilnahme am Kunstfestival The Atlantic Project 2018 in Plymouth (UK) entstanden – sind sagenhafte, humorvolle Szenen, hinter denen sich gesellschaftspolitische Konstrukte und damit verbundene individuelle Schicksale verbergen. Für die inszenierten Bilder arbeitete die Künstlerin in Plymouth mit Menschen vor Ort zusammen. In See/Saw wollen zwei Frauen aus unterschiedlichen Lebensrealitäten mehr übereinander erfahren und dringen dabei in sehr persönliche Bereiche vor. The Eye handelt von der Verhüllung kultureller, spiritueller und geschlechtlicher Identität durch Kolonialismus. Coconut Cutters zeigt zwei Frauen in einer Paradiesgarten-ähnlichen Umgebung. Eine der Frauen sägt die Nüsse der Kokospalme ab. Das Kopftuch wird dabei gleich mitgekappt.
In Textilcollagen verbindet Nilbar Güreş Techniken wie Zeichnung, Stickerei, Applikation und Malerei, in der ihr eigenen, freien Form zu assoziationsreichen Szenerien. Textilien sind für die Künstlerin nicht nur eine unerschöpfliche Inspirationsquelle, sondern auch Medien, die Zeit und Raum transzendieren und Verbindungen zu vergangen Zeiten und Kulturen herstellen können. Die Collage AKP‘s Light Bulb or America’s Freedom Sculpture (2018) erzählt vom Zusammenstoß der Werte einer integrativen Gesellschaft mit konservativer, autoritärer Politik und behandelt Aspekte der aktuellen politischen Situation in der Türkei wie auch deren komplizierte gemeinsame Geschichte mit den USA.
Bei einer weiteren Textilcollage, On Four Hands (2019), wurde eine Decke, die ansonsten die intimsten Geheimnisse und innerlichen Zustände zudeckt, zurückgeschlagen. In der oberen Bildhälfte bewegt sich der gesellschaftliche „Zirkus“, vor dem das Persönlichste verborgen wird.
Im unteren Raum der Galerie hat Nilbar Güreş für diese Ausstellung die neue, betretbare Installation The Hole (2019) entwickelt. Die öffentlichen Umkleiden nachempfundene Architektur bietet nur scheinbaren Schutz vor Blicken. Umso deutlicher verweist sie auf eine kulturspezifische Tabuisierung von Körper und Geschlecht und ist ebenso ein Spiel mit der Geste von Verdecken und Aufdecken. Jemand verschwindet für kurze Zeit und tritt dann wieder hervor – hat sich etwas verändert?
Die spielerische Ironie, die auch The Hole zugrunde liegt, ist ein wesentlicher Grundstoff der Werke von Nilbar Güreş. Trotz der oft ernsten Themen sind es positive Gegenentwürfe – Humor kann, wie sie selbst sagt, Hoffnung generieren.
Nilbar Güreş, *1977 in Istanbul, lebt und arbeitet in Wien und Istanbul.
Die Produktion der Fotografien für The Atlantic Project wurde von der SAHA Association unterstützt.