Jan Merta: Look

18.10.–18.11.2017

Jan Merta
Ausstellungsansicht, Galerie Martin Janda, 2017
Foto: Anna Konrath

Jan Merta
Goyova Lampa II / Goya's Lamp II, 2016–2017
Acryl auf Leinwand
280 x 230 cm

Jan Merta
Ontologická díra v ledu / Ontological Hole in the Ice, 2016–2017
Acryl auf Leinwand
230 x 280 cm

Jan Merta
Ausstellungsansicht, Galerie Martin Janda, 2017
Foto: Anna Konrath

Jan Merta
Vyho Elá Abstrakce / Burnt-Out Abstraction, 2009
Acryl auf Leinwand
300 x 195 cm

Jan Merta
Muž Bez Vlastností / The Man without Qualities, 2012–2015
Öl auf Leinwand
110 x 90 cm

Jan Merta
Vzhled / Look, 2014–2016
Acryl auf Leinwand
160 x 140 cm

Jan Merta
Ausstellungsansicht, Galerie Martin Janda, 2017
Foto: Anna Konrath

Jan Merta
Ausstellungsansicht, Galerie Martin Janda, 2017
Foto: Anna Konrath

Jan Merta
Ausstellungsansicht, Galerie Martin Janda, 2017
Foto: Anna Konrath

Eröffnung: Dienstag, 17. Oktober 2017, 19 Uhr

Die Galerie Martin Janda zeigt von 18. Oktober bis 18. November die dritte Einzelausstellung des renommierten tschechischen Malers Jan Merta.
 
Organisch-fließende Formen treffen auf geometrisch-harte Kanten; grellfarbige Markierungen setzen Akzente in der vorwiegend aus gebrochenen, gedämpften Tönen bestehenden Farbpalette; opake Farbflächen alternieren mit transparent-lasierenden Schichten oder fragilen Pastelltönen. Wiedererkennbare Gegenstände, Menschen oder Tiere lösen sich im Fluidum des malerischen Bildraums auf oder treten aus diesem entschieden hervor. Mertas vielschichtige, maximal reduzierte Gemälde bestechen durch ihre Meisterschaft und eine rätselhafte Dringlichkeit im Ausdruck, die Zusammenhänge mit Malerkollegen wie etwa Luc Tuymans oder Willem Sasnal evoziert. Wie diese schöpft er in seiner malerischen Praxis aus der Fülle postmedial bedingter Möglichkeiten und versteht es, durch den erweiterten Einsatz nicht-malerischer Verfahren eine Gemengelage an Beziehungen herzustellen, die weit über die Begrenzungen der Leinwand hinausreicht. Auch wenn seine Bildkompositionen fallweise Anleihen bei Meisterwerken der Kunstgeschichte nehmen – wie etwa von Holbein, Goya oder Van Gogh –, referenzieren sie gleichermaßen auf ein mannigfaltiges mediales Repertoire, das von Film über Fotografie bis zur Literatur reicht, wie auch auf einen Fundus privater oder kollektiver Erinnerungen, alltäglicher Wahrnehmungen und Motive.
 
In einer Analyse zur Verfasstheit der zeitgenössischen Malerei beschreibt der US-amerikanische Kunsthistoriker David Joselit Bilder als Zeitspeicher, deren bewusste Wahrnehmung eine Lebensdauer in Anspruch nehmen könnte. Mertas Bilder selbst umspannen oftmals eine Lebenszeit – seine Lebenszeit –, indem sie häufig auf (Kindheits-)Erinnerungen rekurrieren. Anders jedoch als bei tatsächlich zeitbasierten Medien genießt der Maler die Freiheit, Zeit nach Belieben zu thematisieren, in dieser kühn zu navigieren und Simultaneität abseits der Notwendigkeit einer normativen Beschränkung etwa in Form einer Chronologie herzustellen.
 
In der kleinformatigen Bilderserie Galerie I–IV (2006/2007) bezieht sich Jan Merta beispielsweise ironisch auf ein Initiationserlebnis als 10-Jähriger Schuljunge. Ein Ausflug mit zwei „weltgewandten“ Kameraden, die versprachen, ihm eine Galerie zu zeigen, endete bei der Ruine eines ehemaligen Open-Air-Kinos oder Theaters in der Peripherie seiner Heimatstadt Liberec. Von dem Gebäude waren lediglich die verwachsenen Grundmauern erhalten, die nun zu einer Leinwand für die delirierende Illusion lebensgroßer, detailgetreu ausgeführter Figuren in pornografischen Posen geworden waren. Mertas Bilderserie gelingt es nicht nur, einen realistischen Eindruck der Örtlichkeit zu vermitteln, sondern sie evoziert in der flirrenden Erscheinung der skizzenhaft-animierten, grellpinken Figuren, die sich in ihren expliziten Posen partout nicht an die Begrenzungen der Wandflächen halten wollen, die lebendig gebliebene Erinnerung an die ambivalenten Gefühle des Jungen angesichts dieses schockierenden Kunstwerks. Darüber hinaus lässt sich Galerie I–IV als paradigmatisch für das gleichberechtigte, dialektische Zusammenspiel von Bild und Text in Mertas Œuvre heranziehen. Gemeinsam mit dem gemalten Bild generieren Titel und Text die Inhalte, die sich erst im Auge und Geist der Betrachter endgültig formieren. Im Spannungsfeld zwischen wortlosem Bild und bildloser Rede bilden das Sichtbare und das Sagbare eine Allianz, findet ein Denken in Malerei statt, das seine eigenen Welten erzeugt, in denen vormals unverrückbare Gegensätze wie etwa Figuration und Abstraktion obsolet geworden sind. So etwa auch im paradoxen gesichtslosen Bildnis Mann ohne Eigenschaften, das nur schemenhafte Züge einer durchscheinenden Person erkennen lässt. Umso intensiver strahlt der undefinierte türkisgrüne Hintergrund, der kontrastierend mit zarten rosavioletten Tönen dem Bild seine eigentliche, vieldeutige Lebendigkeit verleiht. Der Verweis auf den gleichnamigen, unvollendeten Roman von Robert Musil legt den Vergleich zwischen dem literarischen und dem malerischen Werk nahe. Am ehesten findet sich wohl eine Analogie in der vielschichtigen Durchdringung der Werke mit der jeweils eigenen Biografie und dem kongenialen Kunstgriff eines nicht-chronologischen Zeitverständnisses, das sowohl dem unvollendeten Roman wie auch den rätselhaften Bildern Mertas einen Hauch von Unendlichkeit verleiht.

Text: Alexandra Hennig 

Jan Merta, geboren 1952 in Sumperk (CZ), lebt und arbeitet in Prag und České Lhotice (CZ).