De frente al sol
18.09.–30.10.2010
De frente al sol
kuratiert von Patrick Charpenel
Eröffnung: Freitag, 17. September, 2010, 19 Uhr
Dauer der Ausstellung: 18.09. bis 31.10.2010
Die Galerie Martin Janda zeigt von 18. September bis 30. Oktober 2010 die vom mexikanischen Kurator Patrick Charpenel zusammengestellte Gruppenausstellung De frente al sol mit Arbeiten von Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla, Alessandro Balteo Yazbeck*, Fernando Bryce, François Bucher, Minerva Cuevas, Angela Detanico & Rafael Lain, Carlos Garaicoa, Eduardo Gil, Fernanda Gomes, David Lamelas, Jorge Macchi, Jorge Méndez Blake, Fernando Ortega, Wilfredo Prieto, Gabriel Sierra und Javier Téllez.
* mit Werken von Yanomamö d. Ä. und Rolando Peña
Lateinamerika liegt westlich von Europa, östlich von Asien und südlich der Vereinigten Staaten. Diese geographischen Koordinaten verraten jedoch wenig über die Natur oder die Dynamik dieses Erdteils. Das Image Lateinamerikas ist ein Mosaik aus Klischees, zusammengesetzt aus Farbenpracht, gutem Wetter, Fiesta und Armut. Eine vermeintlich freudvolle Region, in der die Menschen ihr Dasein Vergnügungen und Leidenschaften widmen und lieber dem süßen Nichtstun frönen statt produktiv zu sein. Diese angeblich kulturelle Essenz ist jedoch ein willkürliches Konstrukt, das tatsächlich nicht einmal ansatzweise den Charakter der Lateinamerikaner definiert.
Statt Ordnung, Stabilität und Systematik dominieren Ungewissheit und Zufall. Globalisierung sollte im Fall Lateinamerikas nicht als lineare Abfolge bestimmter, klar vorgegebener Faktoren, sondern als eine Reihe komplexer und chaotischer Zustände betrachtet werden. Dies führt weniger zur Entstehung eines geordneten, globalen Dorfes als vielmehr zur Multiplikation von Konfliktpunkten und Widersprüchlichkeiten. Wer von einer lateinamerikanischen Essenz oder Spezifität spricht, übersieht die komplexen Einflüsse, die der Westen auf den Rest der Welt ausübt – und vice versa.
Die Ausstellung De frente al sol (Der Sonne entgegen) bezieht ihren Titel von einer mexikanischen Telenovela der frühen 90er Jahre, in der lateinamerikanische Begebenheiten und Geschichten, eingebettet in eine Liebestragödie, erzählt werden. Gleichermaßen skizziert dieses Projekt, das eigens für die Galerie Martin Janda konzipiert wurde, die Verhandlungsmechanismen des Lateinamerikanismus in Hinblick auf die telematische Kultur einer postkapitalistischen, globalen Informations- und Kommunikationskultur, deren wichtigste Überlebensstrategien Anpassungsfähigkeit und Offenheit sind. Die Notwendigkeit, sich an wirtschaftliche, politische und kulturelle Verschiebungen auf globaler Ebene anzupassen, erfordert ein hohes Maß an Flexibilität – sowohl auf persönlicher als auch auf institutioneller Ebene. Und so agieren die KünstlerInnen dieser Ausstellung auf einer neuen Bühne, auf der sich Realität und Fiktion überschneiden.
Die Ausstellung versammelt 18 Künstlerinnen und Künstler aus acht Ländern Lateinamerikas, die alle maßgeblich an der künstlerischen Entwicklung des Kontinents beteiligt sind. Unter Verwendung verschiedener Produktionstechniken und Ausdrucksweisen befassen sich ihre Werke mit den Paradoxien globaler Kultur im Rahmen lateinamerikanischer Wirtschaftsysteme. Kulturelle Identitäten und Hybridisierungen vergegenwärtigen die Welt der Telenovelas und anderer massenmedialer Produkte. So zeigt das brasilianische Kollektiv Detanico & Lain beispielsweise ein seltsames Alphabet: Es besteht aus Grafiken, die utopische Architekturen der Stadt Brasilia darstellen und so auch in gewisser Weise an gescheiterte soziale Utopien erinnern, die in Werbeslogans und anderen Erzählformen lateinamerikanischer Länder zum Ausdruck kommen. Indem die Künstler diese architektonischen Ikonen, entworfen vom renommierten Architekten Oscar Niemeyer, zitieren, „trivialisieren“ sie auch die Starrheit dieses politischen Projekts. Ein weiteres Beispiel für den utopischen und zielorientierten Charakter der lateinamerikanischen Gesellschaft ist Fernando Bryces Serie von Zeichnungen, die historische Dokumente reproduzieren. Sie bezeugen Momente und Projekte, die von Modernisierungsstrategen angepriesen wurden, und imitieren den hochtrabenden, seifenopernartigen Stil politischer Institutionen. François Buchers Videoinstallation La raíz de la raíz zeigt den ehemaligen Präsidenten Kolumbiens, Ernesto Samper, beim Verlesen einer Rede, die 30 Jahre zuvor im selben Wortlaut gehalten wurde und in der es um die Drogenbekämpfungsmaßnahmen geht, welche die Politik jener Dekade geprägt hatten. Der Rede wird auf diese Weise neues Leben eingehaucht, sie erhält eine neue und eigentümlich andere Bedeutung im Kontext einer Rhetorik des Kampfes gegen organisiertes Verbrechen und Terrorismus.
All diese Arbeiten sind eine Konsequenz der neuen Strukturen lateinamerikanischer Regionen. Die Dialektik, die in Folge der Spannungen zwischen dem, was als „eigen” und dem, was als „fremd” erachtet wird, entsteht, resultiert aus den Integrations- (oder Disintegrations-)Prozessen internationaler Politik. Innerhalb dieses Rahmens allgemeiner Homogenisierung stechen besonders die Dynamiken digitaler Kommunikation sowie das Streben nach Widerstand und gegen kulturelle Marginalisierung hervor. De frente al sol zeigt eine spezielle Sicht auf die komplexen Entwicklungen in diesem Teils Amerikas und stellt die Exponenten einer neuen Künstlergeneration vor.
Patrick Charpenel, geboren 1967 in Guadalajara, Mexiko. Studium der Philosophie. Kurator zahlreicher Ausstellungen, u.a. Gabriel Orozco, Museo del Palacio de Bellas Artes, Mexico, 2006; Franz West Elefante Blanco, Museo Tamayo Arte Contemporáneo, Mexico City, 2009; Art Projects, Art Basel Miami Beach, 2009; Summer International Artist-in-Residence 10.2, Artpace, San Antonio, Texas, 2010. Seit 2005 Kurator und Koordinator des Botanical Garden Art Project in Culiacan, Mexiko. Charpenel lebt und arbeitet in Guadalajara.